Packen wir es an!
Masterpläne zur Bewältigung des Klimawandels
Ich will aufzeigen, was wir alle gemeinsam anpacken müssen, um den Klimawandel und seine Folgen in den Griff zu kriegen.
Wenn wir den Klimawandel zum globalen und menschheitsgefährdenden Gegner erklären, dann brauchen wir nicht nur eine Strategie, wie wir ihm global begegnen, sondern wir brauchen auch eine Taktik, wie wir im Einzelnen vorgehen wollen. Das große strategische Ziel ist die Verringerung der Treibhausgasemissionen. Das ist gut und schön. Es wird aber sehr lange dauern, bis die Welt kein CO2 mehr emittiert. Und es wird noch länger dauern, bis der Klimawandel gestoppt oder sogar zurückgedreht ist; wenn das überhaupt möglich ist. Was genau machen wir bis dahin? Wie gehen wir mit dem Klimawandel in der Zwischenzeit um, und wie können wir die Energiewende, die Transformation der Gesellschaft für eine klimaneutrale Zukunft, Schritt für Schritt umsetzen? Wie können wir glaubhaft darstellen, was auf jeden von uns zukommen wird?
Wir brauchen einen Plan! Und zwar einen Plan, der weit bis in die klimaneutrale Zukunft hineinreicht. Dann setzen wir den Plan um. Und dabei überprüfen wir regelmäßig, ob der Plan nicht korrigiert werden muss. Ein derartiger Plan könnte aus zwei Teilen bestehen:
- Wir brauchen einen Masterplan zur Bekämpfung der Folgen des Klimawandels und
- wir brauchen einen Masterplan zur Umsetzung der Energiewende!
Der Masterplan zur Bekämpfung der Folgen des Klimawandels
Die Vorhersagen, welche Folgen die Erderwärmung für uns haben wird, sind sehr vage formuliert. Die Klimaforscher überbieten sich zwar tagtäglich mit „Warnungen“, was alles geschehen könnte. Was nun aber konkret wo passieren wird, verraten sie nicht.
Ein Beispiel: die Klimaforschung sagt eine Häufigkeitszunahme von Starkregenereignissen bei uns voraus, sogar mit konkret wirkenden Zahlen. Sie sagt aber auch voraus, dass es mehr und anhaltendere Trockenperioden geben wird. Und sie sagt auch voraus, dass es bei uns mehr regnen wird; oder war es weniger Regen? Was, bitte, soll ein vorausschauender Landwirt mit diesen Prophezeiungen anfangen? Der Starkregen ist vielleicht nicht sein Problem; aber für anhaltende Trockenperioden muss er vorsorgen. Das Wasser zur Bewässerung ließe sich in Sammelbecken speichern, wie sie auf den Urlaubsinseln gang und gäbe sind. Wenn die Niederschläge im Jahresverlauf unverändert blieben, können ausreichend bemessene Rückhaltungen reichen. Wenn es aber insgesamt trockener wird, dann werden ein paar Zisternen je nach Region zu wenig sein. Dann braucht der Landwirt eventuell Wasser aus Meerwasserentsalzungsanlagen, weil das Wasser in Stauseen und Flüssen, aber auch das Grundwasser, ebenfalls knapp werden wird – was wir ja in den letzten Jahren schon mehrfach hatten. Was tun, sprach Zeus. Meerwasserentsalzung oder Regenrückhaltung oder gar nichts – falls sich beim hiesigen Klima nämlich dann doch keine nennenswerten Veränderungen der Niederschläge einstellen?
Die Folgen des Klimawandels werden vielfältig sein. Das steht fest. Aber es steht nicht fest, welche dieser Folgen in welchem Maße Schäden verursachen wird. Und man wird nicht jeder denkbaren Folge des Klimawandels mit aufwendigen Maßnahmen begegnen können; dafür reichen die Mittel gar nicht. Also muss man Prioritäten setzen. Dafür braucht man Risikoanalysen. Dazu muss man herauszufinden, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für einen bestimmten klimabedingten Schaden ist, beispielsweise für wochenlange Dürren in einer bestimmten Region, oder auch für Hochwasser an Rhein oder Ahr. Leider lassen uns alle Klimaforscher auch damit bislang allein. Wenn jemand heute Klimaforscher auffordert, präzise Vorhersagen zu treffen, pflegen sie sich mit wohlfeilen Worten herauszuwinden: „So genau könne man das ja nicht sagen… Aber es wird ganz bestimmt so und sovielmal häufiger und viel schlimmer kommen“. Mit solchen Plattitüden kann kein Mensch etwas anfangen. Die Klimaforscher müssen jetzt die Hose runterlassen. Sie müssen „Butter bei die Fische tun“! Sie sollten endlich einmal klar und deutlich sagen, was wann wo und mit welcher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.
Viele Klimaforscher behaupten, ihre Forschungen wären für die Zukunft der Menschheit von überragender Bedeutung. Gut, es sei so. Dann müssen dieselben Klimaforscher aber auch solide, valide Ergebnisse liefern, die dieser Bedeutung gerecht werden! Schließlich kriegen sie dafür enorme Forschungsgelder, und der Steuerzahler hat ein Recht darauf, dass die für praktisch nutzbare Erkenntnisse und nicht für Computerspiele ausgegeben werden.
Die Erforschung des Klimawandels ist kein Spielchen im Elfenbeinturm, sondern ergebnisorientierte Forschung. Klimaforscher und ihre Berichterstatter sollten sich abgewöhnen, mit bedeutungsschwangerer Miene vor irgendwelchen sich häufenden Wetterereignissen zu „warnen“ oder von bevorstehenden Kipppunkten zu schwadronieren. Uns könnte ja auch der Himmel auf den Kopf fallen. Wir müssen wissen, was passieren wird – nicht was passieren könnte!
Das ist Top 1 des Masterplans: die Klimaforscher müssen konkrete und valide Vorhersagen mit seriösen nachvollziehbaren Wahrscheinlichkeitsrechnungen liefern – oder für immer schweigen!
Ich fürchte, die Klimaforschung ist trotz Nobelpreis noch lange nicht so weit, dass sie valide Eintrittswahrscheinlichkeiten für regionale Klima- oder lokale Wetterereignisse liefern könnte. Risikoanalysen funktionieren aber auch ohne, wenn auch nicht ganz so gut. Dann muss man die Risiken des Klimawandels eben abschätzen. Auch mit fundiert und möglichst objektiv eingeschätzten Eintrittswahrscheinlichkeiten für Schadereignisse kann man eine Priorisierung der notwendigen Maßnahmen erreichen. Diese Vorgehensweise ist in der professionellen Risikoanalyse alltäglich.
Eine detaillierte Risikoanalyse zu potentiellen Klimaschäden ist extrem aufwendig. Sie wird Zeit und Geld kosten. Sie muss aber genau deswegen hier und heute starten. Denn ungeachtet, ob die Risikobewertung nun aus Daten der Klimaforschung oder aus unabhängigen Schätzungen resultiert: am Ende brauchen wir eine To-do-Liste der wichtigsten Ad-hoc-Maßnahmen gegen die Folgen des Klimawandels.
Das ist Top 2 des Masterplans: Eine detaillierte risikobasierte Liste, welche Maßnahmen gegen die absehbaren Folgen des Klimawandels wo und bis wann umzusetzen sind, was die kosten werden, und wer das bezahlen wird.
Und dann bleibt noch Top 3, dann muss man die Ärmel aufkrempeln, und diesen Masterplan abarbeiten; und offen dafür sein, ihn bei neuen Erkenntnissen wieder abzuändern.
Vielleicht sagen Sie jetzt: „Nein, Herr Därr, das ist alles überflüssig, denn wir wollen das Klima ja gerade deswegen retten, damit es gar nicht erst zu diesen schwer zu prognostizierenden Klimafolgen kommen kann.“ Nun, selbst wenn der Klimawandel zu 100 % menschengemacht ist, kann es nicht gelingen, ihn auf absehbare Zeit zurückzudrehen. Alle Menschen, die heute leben, werden mit einem weitergehenden und sich verstärkenden Klimawandel konfrontiert sein. Das ist unausweichlich. Alle Rettungsversuche kommen zu spät, um die schon sichtbaren Folgen in absehbarer Zeit zurückzudrehen. Und vermutlich kommen sie auch zu langsam, um zukünftige Folgen verhindern zu können.
Und falls die Klimaskeptiker mit einem naturgegebenen Klimawandel recht haben sollten, was man auch nicht kategorisch ausschließen kann, dann wären Maßnahmen gegen die Folgen des Klimawandels ohnehin unumgänglich. Dann müsste der Masterplan erst recht abgearbeitet werden.
Der Masterplan zur Umsetzung der Energiewende
Der zweite Teil des Masterplans besteht darin, detailliert alle Schritte aufzuzeigen, die getan werden müssen, um zur Klimaneutralität zu kommen. Es reicht eben nicht, schnell noch ein paar Windräder in irgendein Landschaftsschutzgebiet zu klotzen, und es hilft auch nichts, Häuslebauer dazu zu verdonnern, eine PV-Anlage aufs Dach zu schrauben. Die gesamte Transformation hin zur Klimaneutralität muss detailliert geplant werden. Das ist im Grunde nichts anderes als eine klassische Projektplanung, wie sie in der Wirtschaft alltäglich ist – nur mit dem Unterschied, dass das Projekt gewaltig ist.
Dieser Masterplan muss verbindliche Angaben enthalten über
- das Tempo, in dem Windanlagen an Land und auf See sowie PV-Anlagen hinzugebaut werden, und wo welche wann hingestellt werden,
- das Tempo und den Umfang, in dem parallel dazu die notwendige Technologie – Wasserstoff, Erdgas, Atom, was auch immer – zum Ausgleich der Leistungsschwankungen aus Wind- und PV-Strom ausgebaut wird, und wo diese Anlagen gebaut werden,
- das Tempo, in dem parallel dazu der PKW- und LKW-Verkehr elektrifiziert werden kann, sowie das Maß und den Zeitraum, in dem man vorläufig vielleicht bei fossilen Antrieben bleiben kann,
- das Tempo und die Techniken, mit denen der Flugverkehr klimaneutral werden soll, was allerdings nur im Konsens mit allen IATA-Teilnehmern Erfolg haben kann,
- den Umfang und das Tempo, in dem der übrige Energiebedarf, z. B. in der Industrie oder für die Haushalte, parallel auf erneuerbaren Strom oder von mir aus auf Biomasse umgestellt werden wird,
- den Umfang, in dem klassische Energieträger wie Gas (oder gar Kernkraft) in der Hinterhand gehalten werden sollen, und für welche konkreten Einsatzbereiche das vorgesehen ist,
- den Umfang des zukünftigen Stromaustauschs mit den Nachbarländern,
- die Finanzierung der einzelnen Schritte der Energiewende,
- und, und, und.
Das alles muss detailliert, vorausschauend und jahresgenau bis zur vollständigen Transformation, bis in die klimaneutrale Zukunft, festgelegt werden.
Das ist kein Fünfjahresplan wie in alten DDR-Zeiten. Es ist ein Plan über dreißig Jahre und mehr. Es ist ein sehr großer Plan. Er hätte aber den Charme, dass damit die Energiewende für alle Beteiligten transparent und voraussehbar werden würde. Ein solcher Masterplan birgt allerdings das Risiko, dass Betroffene schon frühzeitig gegen einzelne Maßnahmen in ihren Interessensbereichen vorgehen und am Ende vor Gericht ziehen könnten. Denn gegen den von mir (im Buch) geschilderten, aber notwendigen Gigantismus bei den erneuerbaren Energien wird es Widerspruch geben. Damit muss eine demokratische Gesellschaft leben und umgehen können. Dann muss man die Pläne gegebenenfalls auch abändern!
Vielleicht sagen sie jetzt: „Nun, so ganz ohne Plan passiert das ja gar nicht. Es gib doch den Plan, bis 2030 rund 80 % des Stroms aus erneuerbaren Energien zu erzeugen.“ Stimmt, diesen „Plan“ gibt es – seit ein paar Tagen (Deutscher Bundestag, „Osterpaket“ zum Ausbau erneuerbarer Energien, Bundestagsdrucksachen 20/1630, 20/1634, 20/1599, 20/1742. Berlin , 2022.). Allerdings ist der beispielsweise erst einmal mit der Aufforderung verbunden, die Bundesländer mögen bitte Flächen ausweisen, auf die ein paar mehr Windräder gestellt werden können. Toll! Erstens reichen die angepeilten 2 % der Landesflächen für die Windenergie auf Dauer nicht aus. Und was ist, zweitens, wenn ein Bundesland nicht genug an windigen Flächen zu bieten hat? Oder sich schlicht weigert? Selbst hier herrscht das Prinzip Hoffnung: die werden schon genug haben, sollen sich nicht so anstellen! Im Zweifel und vor Gericht wird es am Ende dann der Verweis auf eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit schon richten.
Außerdem hätte man die Bundesländer nicht nur anweisen müssen, mehr Flächen für Windparks zu planen: Es ist zwingend geboten, sie gleichzeitig anzuweisen, Flächen für die Wasserstofffabriken und die Reservekraftwerke auszuweisen und neue Stromtrassen einzuplanen. Das zu verlangen, traut sich offenbar kein Politiker, denn das ist mit Sicherheit noch unpopulärer als Windräder in der Nähe von Ortschaften. Solche Pläne kundzutun, würde den nächsten Wahlerfolg ihrer Apologeten so utopisch werden lassen wie die totale Energiewende.
Nein, es gibt keinen durchdachten Plan, wie die Energiewende insgesamt, gezielt und erfolgreich zu bewerkstelligen ist. Gäbe es ihn, würde kein Politiker mehr so nassforsch davon reden, bis 2050 sei Deutschland klimaneutral. Ohne einen solchen Plan wird Deutschland die Energiewende aber vor die Wand fahren; so, wie man es in Deutschland auch nicht schafft, Flughäfen, Brücken und U-Bahnen nach Plan zu erweitern. Gut, vielleicht liege ich daneben, und wir bekämen die Energiewende bei uns auch ohne Masterplan hin. Mit ein bisschen Glück vielleicht auch bis 2050.
Denn Wunder gibt es immer wieder!
Eberhard Därr, 2022