„Autofahrende müssen auf spielende Kinder achten!“
Über den Unsinn des Genderns
Unsere Sprache kennt drei Geschlechter: männlich, weiblich und sächlich. Wann immer wir von irgendetwas oder von irgendjemandem reden, kommen wir nicht umhin, eines dieser drei sprachlichen Geschlechter anzuwenden. Was dabei besonders in feministischen Kreisen gern übersehen wird: Dieses sprachliche, das sogenannte generische Geschlecht ist nicht dasselbe wie das biologische Geschlecht von Mensch oder Tier und es ist auch nicht mit der sogenannten geschlechtlichen Identität von Menschen gleichzusetzen. Ein Hund kann ja auch eine Hündin sein, eine Katze ein Kater, und ein Pferd ein Wallach. Und jeder Mensch ist sprachlich männlich, obwohl auch Frauen erwiesenermaßen Menschen sind. Eine Person ist sprachlich dann zwar weiblich, es kann sich dabei aber unbestreitbar auch um einen Mann handeln.
Außer mit dem etwas platten „Leute“ bietet unsere Alltagssprache wenig Möglichkeiten, eine Gruppe von Männern und Frauen geschlechtsneutral zu benennen. Wir müssen uns sprachlich immer für ein Geschlecht entscheiden. Der Mensch ist dafür das Paradebeispiel. Aber auch der Liebe Gott ist sprachlich ein Mann, obwohl er mit Sicherheit weder ein Gemächt noch ein Geschlecht hat.
Im Deutschen überwiegt eindeutig das generische Maskulinum. Es ist allgegenwärtig. Es wird vor allem dann verwendet, wenn jemand anhand seiner Tätigkeit, einer Eigenschaft oder eines zugeordneten Objekts identifiziert werden soll. Grammatikalisch wird das generische Maskulinum gebildet, indem einem nahezu beliebigen Wortstamm die Endsilbe „-er“ oder ein „-e“ „-ent“, „-ant“ oder „-or“, angehängt wird: Jemand, der Expertise hat, ist ein Experte. Jemand, der schwimmen kann, ist ein Schwimmer. Wer dabei siegt, ist ein Sieger. Wer studiert, ist ein Student. Wer fährt, ist ein Fahrer. Jemand, der praktiziert, ist entweder ein Praktiker oder ein Praktikant. Und wer mit Fußbällen umgehen kann, ist ein Fußballer.
Nach diesem Muster sind auch die meisten Berufsbezeichnungen entstanden: Lehrer, Tischler, Schreiner, Müller, Chemiker, Soziologe, Abteilungsleiter, Direktor, Kanzler oder Bürgergeldempfänger.
Erst wenn konkret von einer bestimmten Person die Rede ist, kommt das biologische Geschlecht ins Spiel. Mit dem Anhängen der Endsilbe „-in“ wird dann deutlich gemacht, dass es sich jetzt um eine Frau handelt. Aus dem generischen Maskulinum wird so ein individuelles Femininum. Zwar wird dann auch bei einem Mann aus dem generischen ein individuelles Maskulinum; da sich aber am Wort selbst nichts ändert, merkt man diese Transformation hierbei nur nicht.
Ungeachtet dieser sprachlichen Feinheiten behauptet die feministische Linguistik, das generische Maskulinum sei frauenfeindlich, weil es sie ja offenbar ignoriert. Es sei daher diskriminierend, wenn in einer Stellenanzeige nur ein Lehrer, aber nicht eine Lehrerin gesucht wird. Angeblich hätten Studien auch gezeigt, dass sich viele junge Mädchen von Berufsbezeichnungen wie „Ingenieur“ anders als von „Ingenieur/in“ nicht angesprochen fühlten.
Mich überrascht diese Aussage: In meiner Grundschule fand sich anno 1962 an einem geheimnisumwitterten Raum die Aufschrift „Lehrerzimmer“. Trotzdem wussten wir alle, dass die Lehrer da drin bis auf einen ganz eindeutig Frauen waren. Anscheinend ist das Gespür dafür, dass hinter einer Berufsbezeichnung Männer und Frauen stecken können, inzwischen verlorengegangen – jedenfalls wenn man den feministischen Linguisten und ihren Studien glaubt. Das kann aber sein. Denn die Pisa-Studien haben schließlich noch ganz andere, auch sprachliche Defizite offenbart. Nichtsdestotrotz ist das schon ein seltsames Frauenbild, wenn jemand unterstellt, Frauen seien nicht in der Lage zu erkennen, dass mit einer generischen Berufsbezeichnung unterschiedslos Männlein und Weiblein gemeint sind.
Das Gendern ist die Folge dieser unterstellten Unfähigkeit, unsere Sprache richtig und somit auch geschlechterkonform zu verstehen und anzuwenden. Pauschal gesagt ist das der Versuch, das als geschlechtliche Identität fehlinterpretierte generische Maskulinum auszumerzen; und zwar entweder durch strikte Vermeidung etwaiger eingeschlechtlicher Konnotationen oder aber durch das permanente Auflisten aller denkbaren geschlechtlichen Formen. Aus generisch-männlichen Mitarbeitern werden so entweder Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen oder aber scheinbar geschlechtslose Mitarbeitende.
Beide Methoden führen in unserer Alltagssprache zu Komplikationen. Denn damit wird der große Vorteil der generischen Bezeichnungen aufgegeben: Letztere sind kurz und prägnant. Die Gendersprache ist das Gegenteil. Aus dem oben erwähnten Lehrerzimmer müsste ja konsequenterweise eine Lehrer-und-Lehrerinnen-Zimmer werden, aus einem Nichtschwimmerbecken ein Nichtschwimmerinnen-und-Nichtschwimmerbecken, und aus dem Siegertreppchen ein Sieger-und-Siegerinnen-Treppchen. Das wäre reichlich überkandidelt.
Ein anderes Beispiel ist in der Pharmawerbung zu finden. Dort gab es schon länger den Pflichthinweis: „Bei Risiken und Nebenwirkungen…. fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.“ Inzwischen lautet der Hinweis dann auch gleichberechtigt „…fragen sie Ihre Ärztin, Ihren Arzt oder in Ihrer Apotheke“. Ab sofort darf man also sogar eine Ärztin befragen. Wenn das mal kein Fortschritt ist. Warum man nun aber nicht mehr den Apotheker, sondern in der Apotheke fragen soll, ist allerdings ein Rätsel. Vielleicht kann ja auch die dort anwesende Reinigungsfachkraft weiterhelfen…
Offenbar halten sowohl besagte feministische Linguisten als auch unser Gesetzgeber das Volk für intellektuell unterbelichtet, weil es nicht erkennen kann, dass der generische Begriff „Arzt oder Apotheker“ durchaus auch für die Ärztin des Vertrauens oder für die freundliche Pharmazeutin von der Mohren-Apotheke steht. Ich bin nur gespannt, wann die Aufschrift „Notarzt“ auf allen Rettungswagen durch „Notarzt oder Notärztin“ ersetzt wird. Konsequent wäre es ja. Und es würde der Gefahr vorbeugen, dass jemand die Notärztin zurückweisen muss, weil auf dem Schild ja Notarzt steht…
Die durchgängig parallele Nennung von Frauen und Männern statt des generischen Maskulinums bläht unsere ohnehin schon umfängliche Sprache noch weiter auf. Das haben die gendernden Sprachkünstler durchaus erkannt. Um die Blähungen einigermaßen erträglich abzuführen, haben sie das Gendersternchen erfunden. Damit wird beispielsweise aus „Ärzten und Ärztinnen“ das kürzere „Ärzt*Innen“. In der Schriftsprache sieht das einfach nur blöd aus. Die separate Auflistung der Geschlechter würde im Zeitalter der computerisierten Textverarbeitung ja nicht einmal große Mühe machen. Beim Sprechen wird’s dann aber lustig: Um die Ärzt*Innen von den Ärztinnen unterscheiden zu können, muss vor dem „*Innen“ eine kleine Pause eingefügt werden. Das klingt ein bisschen wie ein Aufstoßen: Aus den Blähungen wird ein Schluckauf.
Beeindruckt war ich auch, als neulich in einer Radiosendung des WDR von Grundschüler… [Pause]… Innen die Rede war. Das ist doch mal vorbildlich! So kann sich kein i-Dötzchen sexuell diskriminiert fühlen. Und es kann sich weiter ganz unbelastet Gedanken über seine geschlechtliche Identität machen…
Als Alternative zum Gendersternchen fungiert gelegentlich auch das Partizip Präsens (Partizip I). Beim Studieren beispielsweise ist „studierend“ dessen adjektivische Form, „Studierender“ die substantivierte Form. Eigentlich hilft das Partizip Präsens beim Gendern nicht wirklich weiter: Denn statt „ein Studierender“ oder „eine Studierende“ kann man genauso gut wie gewohnt „ein Student“ oder „eine Studentin“ sagen. Erst der Plural – „die Studierenden“ oder einfach „Studierende“ – kommt ohne geschlechtsspezifische Deklination aus. Das macht das substantivierte Partizip I so schön genderkonform; leider aber nur im Plural.
Das Partizip Präsens ist im Deutschen als Adjektiv vergleichsweise geläufig: So manch einer begeht sehenden Auges einen Fehler und geht dann mit wehenden Fahnen unter. Der Fließbandarbeiter schafft am laufenden Band und ist danach stehend k. o.! Ansonsten ist es in der Alltagssprache aber eher ungebräuchlich: Ein Fußballspiel ist nicht bald endend, sondern gleich vorbei. „Ich bin arbeitend“, sagt kein Mensch; dann schon eher „Ich bin am Arbeiten“ oder noch gebräuchlicher: „Ich habe zu tun.“
Die substantivische Form des Partizip I kam mir erstmals bewusst unter, als die Lehrlinge zu Auszubildenden mutierten. Zunehmend hat es sich aber inzwischen vor allem in den Ergüssen der öffentlich-rechtlichen Anstalten etabliert: Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind jetzt Mitarbeitende, Radiohörer sind Radiohörende, Zuschauer sind Zuschauende, Forscher sind Forschende, Autofahrer werden zu Autofahrenden, Studenten werden Studierende und aus Lehrern und Lehrerinnen werden Lehrende.
Von wenigen Ausnahmen abgesehen wirkt das Partizip I als Substantiv meist geschwollen und affektiert. Bei sprachkundigen Menschen löst es regelmäßig auch eine gewisse Heiterkeit aus. Das liegt daran, dass es, wenn es dem Gendern dient, meistens auch falsch verwendet wird. Grammatikalisch beschreibt es einen Vorgang, der im beschriebenen Moment auch tatsächlich abläuft. Ein laufendes Fließband ist eins, das im Moment läuft. Sonst wäre es ein stehendes Fließband. Jemand, der an diesem laufenden Band jetzt gerade arbeitet, ist zweifelsfrei ein Mitarbeitender. Wenn er dann Feierabend hat, ist er ebenso zweifelsfrei kein Mitarbeitender mehr, wohl aber immer noch ein Mitarbeiter.
Ein Forscher, der morgens vor der Forschung erst einmal frühstückt, ist in diesem Moment auch kein Forschender, sondern ein Frühstückender. Studenten trifft man häufig in Studentenkneipen im Studentenviertel. In meiner Erinnerung trafen wir Studenten uns dort aber selten studierend, sondern meistens zechend. Folgerichtig gab und gibt es weder Studierendenviertel noch Studierendenkneipen. Das trotzdem inzwischen gegenderte Studierendenwerk ist ein Fall von Realsatire. Und zuletzt noch eine hübsch gegenderte Stilblüte: Autofahrende müssen auf spielende Kinder achten!
Diese wenigen Beispiele zeigen, dass sich das generische Maskulinum bei Berufs- und Tätigkeitsbezeichnungen nicht durch das Partizip I ersetzen lässt. Ein Mitarbeiter ist eben doch etwas anderes als ein Mitarbeitender. Offenbar erkennen wir sprachlichen Normalos intuitiv diesen Unterschied und das Partizip I wird bei unpassender Verwendung zur Ironie; vor allem dann, wenn es sprachlich geläufigere Alternativen gibt. Wegen dieses intuitiven Sprachempfindens sind wohl auch Wissenschaftler noch nicht zu Wissenschaffenden, Minister nicht zu Ministrierenden, Anstreicher nicht zu Anstreichenden, Maler nicht zu Malenden, Richter nicht zu Richtenden, Zeugen nicht zu Zeugenden und Fußballer nicht zu Fußballernden geworden. Das alles und viel mehr ist wohl selbst den eifrigsten Protagonisten des Genderns zu albern. Eigentlich erstaunlich, wo sie doch nicht einmal davor zurückschrecken, Frauen als „menstruierende Personen“ lächerlich zu machen. Ein Lichtblick?
Etliche Kabarettisten leben inzwischen davon, dass sie das Gendern als subtiles – ich streiche subtil! – als Mittel der Satire nutzen können. So werden auch die Mitglieder unserer derzeitigen Regierung mit doppelter Ironie schon mal zu Regierenden. Zum Veräppeln taugt das Gendern per Partizip wirklich gut. Aber auch nur dazu.
Das Fazit:
Das generische Maskulinum ist ein intrinsischer Bestandteil der Sprache. Es ist praktisch, weil man damit nicht dauernd mit den bisherigen zwei und neuerdings mit immer mehr geschlechtlichen Identitäten jonglieren muss. Das generische Maskulinum ist eine Vereinfachung der Sprache. Sonst nichts. Vor allem ist es keine Diskriminierung von Frauen.
Das Gendern ist ein Versuch, die Sprache einer feministischen Ideologie folgend zu manipulieren. Das allein hat schon orwellsche Qualitäten. Es bläht die Sprache dazu aber unnötig auf, ist umständlich und oft grammatikalisch falsch; und selbst wenn es richtig angewandt wird, macht es die Sprache regelmäßig zur Karikatur. Es tut weh, dabei zuzuhören. Es verletzt jegliches sprachästhetische Empfinden. Damit tut es der an sich guten Sache, die Gleichstellung von Mann und Frau weiter voranzubringen, auch keinen Gefallen. Praktisch alle Menschen (Pardon: Mensch*Innen?), die ich kenne, machen sich inzwischen über das Gendern lustig. Wenn sie es nicht offen ablehnen, empfinden sie es im Stillen wahlweise als überflüssig, arrogant und auch als unhöflich.
Nicht das wir uns jetzt falsch verstehen: Es ist selbstverständlich, Männer und Frauen gleichermaßen respektvoll anzusprechen. Dann kommt man auch um eine adäquate Sprache nicht herum. Das funktioniert aber sogar ganz ohne zu gendern. Das kann zwar aufwändig werden, wenn beispielsweise ein Chef bei der Betriebsversammlung seine Rede mit „Liebe Mitarbeiterinnen, liebe Mitarbeiter“ anfängt und in der Folge bei dieser Formulierung bleibt. Aber so viel Zeit muss sein. Auch Willy Brandt wäre schlecht beraten gewesen, wenn er seine Neujahrsansprachen statt mit dem legendären „Liebe Mitbürrrgerrrinnen und Mitbürrrgerrr“ mit „Liebe Mitbürger…[hicks]…Innen“ begonnen hätte: Stottert der oder macht er jetzt seinem Beinamen Whisky-Willy alle Ehre?
Statt mit kruden Sprachverrenkungen zu gendern, wäre es zielführender, immer und überall respektvoll von-, zu- und miteinander zu sprechen. Denn wenn jemand von einer Frau „Du dumme Kuh“ (Zitat Alfred Tetzlaff) denkt, dann wird es auch nicht besser, weil dabei die geschlechtliche Identität des Rindviehs berücksichtigt wurde. Wenn jemand dagegen eine gut performende Mitarbeiterin als „Feger und absoluten Bringer“ lobt, sollte das ach so böse generische Maskulinum doch wohl keine Rolle spielen?
Respekt wird nicht im Gendern sichtbar. Respekt wird sichtbar in der Form, wie wir im Alltag miteinander umgehen – und noch mehr in dem, was wir voneinander denken!
Mehr Respekt voreinander würde unserer Gesellschaft deutlich besser stehen als das alberne, affektierte und daher kontraproduktive Gendern.
Eberhard Därr, Okt. 2024